Die Bazillen fliegen wieder. Unter den seltsamen, vielleicht auch ein bisschen schauerlichen Begriffen Wiesn-Grippe und Maßkrug-Herpes verstecken sich reale Phänomene. Auf dem Oktoberfest treffen in 16 Tagen ungefähr 6 Millionen Menschen aufeinander. Dies ist ein gefundenes Fressen für Viren, Bakterien und all die anderen Parasiten, mit denen man sich gerade beim Feiern eigentlich nicht beschäftigen möchte.
Es beginnt ganz harmlos. Ein kleines Hüsteln auf dem schwankenden Nachhauseweg, hier und da ein Niesen. Am nächsten Morgen dann das kratzige Gefühl im Hals… und schon ist sie da: die Wiesn-Grippe. Beim Arztbesuch am folgenden Tag stellt sich heraus: man ist kein Einzelfall. Das Wartezimmer ist voll mit verkaterten Kranken, die nach der gestrigen Achterbahnfahrt nun die zweite Nahtoderfahrung in kürzester Zeit durchleben. Nach 60 Minuten Wartezeit im sich im Selbstmitleid suhlenden Wartezimmer wird man endlich zum gottgleichen Heiler vorgelassen. Der kennt das Ganze schon. Ein klarer Fall von Wiesn-Grippe. So etwas sieht er zur Zeit jeden Tag.
In der Apotheke um die Ecke sieht es nicht besser aus. Ein Patient betritt den Verkaufsraum. Auch er leidet, aber anders. Eine unangenehme Pustel ziert seine Oberlippe. Hier hat der Maßkrug-Herpes zugeschlagen. Die Apothekerin lächelt verständnisvoll, kramt in einem Schrank an der Rückwand und schiebt geheimnisvoll ein kleines Päckchen Pflaster und Creme gegen den unwillkommenen Gesichtsschmuck über die Ladentheke.
Die Apotheken und Arztpraxen im Umkreis der Landeshauptstadt haben momentan alle Hände voll zu tun. Eine Zombiewelle nach der anderen fällt in die Wartezimmer des Freistaates ein um die ungewollten Mitbringsel des Oktoberfestes wieder los zu werden.
Statistiken des Robert-Koch-Instituts in Berlin zeigen, dass die alljährliche Herbst-Grippewelle, die vor allem in Atemwegserkrankungen zu Tage tritt, in und um München jedes Jahr ein Paar Wochen vor dem Rest der Bundesrepublik beginnt. Jedes Jahr um die 41. Kalenderwoche herum zeichnet sich München als Hochburg lokaler Grippefälle ab, während sich die Hamburger beispielsweise im Durchschnitt noch bester Gesundheit erfreuen. Grund dafür ist maßgeblich das Oktoberfest. Die miefige, warme und feuchte Luft in den Bierzelten auf der Theresienwiese bietet einen optimalen Lebensraum für Krankheitserreger. Die großen Menschenmassen machen es ihnen besonders leicht von einem Wirt zum Nächsten zu springen (Wirt dieses Mal ausnahmsweise nicht im Sinne von Festwirt). So steckt sich innerhalb von kürzester Zeit ein ganzes Bierzelt mit dem Erreger an. Alkohol unterstützt diesen Prozess weiter. Das Immunsystem ist weniger leistungsfähig und kann sich dem Angriff von Außen nicht entgegensetzen.
Ähnlich funktioniert es in Bezug auf die Herpes-Viren. Zwischenmenschlicher Kontakt ist für eine Übertragung nicht unbedingt nötig. Auch auf den Maßkrügen sammeln sich Keime, die eine Infektion auslösen können.
Ein wirksames Mittel gegen die Wiesn-Krankheiten gibt es nicht wirklich. Mit Zwiebellook und Desinfektionsmittel lässt sich zwar dem schlimmsten Ausfall vorbeugen, ganz kann man sich den Viren aber nicht entziehen. Wer vorbeugt ist also klar im Vorteil: eine Extra-Packung Erkältungsmedikamente, Tee und Creme schaden definitiv nicht und einer weiteren Bazillenverbreitung beim Arzt beugt man gleichzeitig auch vor.