Jahre lang galt sie lediglich als Phänomen. Man munkelte sie sei einzig und allein in der Einbildung der Öffentlichkeit existent. Nun ist es wissenschaftlich bewiesen:
Die Wiesn-Grippe gibt es wirklich!
Wer kennt es nicht? Da verbringt man den halben Tag im warmen Bierzelt mit deutlich zu hoher Luftfeuchtigkeit, trinkt die ein oder andere Maß (gerne auch einmal aus fremden Krügen), entflieht der Hitze nach Draußen an die kühle und vor allem frische Luft und zack! Es ist passiert. Die Grippe ist im Anmarsch. Möchte man das Verfahren noch etwas beschleunigen, unterzieht man sich der wilden Fahrt in einer der Achterbahnen (am besten gänzlich ohne Jacke). Da ist der Ausfalltag im Bett mit Wärmflasche und kräftiger Gemüsebrühe vorprogrammiert.
Es beginnt ganz harmlos. Ein kleines Hüsteln auf dem schwankenden Nachhauseweg, das ein oder andere Niesen. Am nächsten Morgen ein unangenehmes Kratzen im Hals… und schon ist sie da: die Wiesn-Grippe. Beim Arztbesuch im Laufe des Tages stellt sich heraus: man ist kein Einzelfall. Das Wartezimmer ist voll von verkaterten Kranken, die nach ihrem Wiesn-Besuch am Vortag nun eine erste Nahtoderfahrung haben. Nach 60 Minuten im sich im Selbstmitleid suhlenden Warteraum wird man endlich zum gottesgleichen Heiler vorgelassen. Der kennt das Ganze schon. Ein klarer Fall von Wiesn-Grippe. So etwas sieht er zu dieser Jahreszeit häufiger.
Eine wissenschaftliche Meinung zu dieser Beobachtung hat Ulrike Protzer, Chefin des Instituts für Virologie an der TU München, der Süddeutschen Zeitung präsentiert. Statistiken des Robert-Koch-Instituts in Berlin zeigen, dass die alljährliche Herbst-Grippewelle, die vor allem in Atemwegserkrankungen zu Tage tritt, in und um München jedes Jahr ein Paar Wochen vor dem Rest der Bundesrepublik beginnt. Jedes Jahr um die 41. Kalenderwoche herum zeichnet sich München als Hochburg lokaler Grippefälle ab, während sich die Hamburger beispielsweise im Durchschnitt noch bester Gesundheit erfreuen. Grund dafür ist maßgeblich das Oktoberfest. Die miefige, warme und feuchte Luft in den Bierzelten auf der Theresienwiese bietet einen optimalen Lebensraum für Krankheitserreger. Die großen Menschenmassen machen es ihnen besonders leicht von einem Wirt zum Nächsten zu springen (Wirt dieses Mal ausnahmsweise nicht im Sinne von Festwirt). So steckt sich innerhalb von kürzester Zeit ein ganzes Bierzelt mit dem Erreger an. Alkohol unterstützt diesen Prozess weiter. Das Immunsystem ist weniger leistungsfähig und kann sich dem Angriff von Außen nicht entgegensetzen.
Schützen kann man sich gegen den Wiesn-Virus kaum. Schließlich werden die Krankheitserreger viel zu schnell und viel zu einfach übertragen. In den öffentlichen Verkehrsmitteln, dem Supermarkt um die Ecke oder einfach auch im Familienkreis zuhause werden so auch Oktoberfest-Muffel infiziert. Wer jetzt am letzten Wiesn-Tag eine Ansteckung möglichst vermeiden möchte, dem seien einige praktische Tipps ans Herz gelegt. Händewaschen nicht vergessen! Im Kampf gegen Krankheitserreger ist dies wohl die effektivste Methode. 30 Sekunden Hände schrubben kann Taschentüchern und angeschlagenen Nase das Leben retten. Auch beim Alkoholgenuss kann eine Übertragung verhindert werden. Hier gewinnt, wer seinen Krug mit Argusaugen bewacht und in keinem anderen Krug fremdsüffelt. Das ist erstens im Vornherein deutlich hygienischer, verringert gleichzeitig aber auch die Gefahr einer Ansteckung.
Ganz sicher ist man vor der gefährlichen Wiesn-Grippe nie, eine gute Nachricht gibt es aber noch: Sie ist nicht lebensgefährlich, sondern eben „nur“ eine einfache Erkältung. Zwar mag der ein oder andere Mann beim Auskurieren dem Tod gefährlich nahe kommen, gestorben ist an ein bisschen Husten und Schnupfen jedoch noch kein ansonsten gesunder Mensch. In diesem Sinne: Viel Spaß beim letzten Bierzeltbesuch für dieses Jahr! Die Viren freuen sich schon auf euch!